
EXPERTISE
Laudatio für Daniela Melzig zur Ausstellungseröffnung am 04.02.2014
Paul Scheerbart (1863-1915) – der bekannte Philosoph und Schriftsteller phantastischer Literatur und Zeichner schrieb in seinen phantasievollen Aufsätzen über Glasarchitektur:
„Kein Material überwindet so sehr die Materie wie Glas. Von allen Stoffen, die wir kennen, wirkt es am elementarsten. Es spiegelt den Himmel und die Sonne, es ist wie lichtes Wasser, und es hat einen Reichtum der Möglichkeiten in Farben, Formen, Charakter, der wirklich nicht zu erschöpfen ist und der keinen Menschen gleichgültig lassen kann.“
Damit beeinflusste er die jungen Architekten wie Bruno Taut und inspirierte viele Künstler um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20.Jahrhundert.
Und bis heute hat die Attraktivität des Werkstoffes Glas in vielen Bereichen der menschlichen Kultur rasant zugenommen.
Auch Daniela Melzig, die Künstlerin, die ich Ihnen heute vorstellen möchte,
hat Paul Scheerbarts Worte zu einem der Leitsätze ihrer Kunst gemacht.
Glas fasziniert uns Menschen schon seit Jahrtausenden.
Glas ist eine amorphe Substanz. Gewöhnlich wird Glas durch Schmelzen erzeugt.
Aus thermodynamischer Perspektive gesehen, wird Glas als gefrorene, unterkühlte Flüssigkeit bezeichnet.
Diese Definition gilt für alle Substanzen, die geschmolzen und entsprechend schnell abgekühlt werden, so dass nicht genügend Zeit bleibt, um noch eine Umordnung der Bausteine zu einem Kristall, dessen Atome streng geordnet strukturiert sind, zu erlauben.
Simpel gesagt, entspricht somit der atomare Aufbau eines Glases in etwa dem einer Flüssigkeit. Der Transformationsbereich, das ist der Übergangsbereich zwischen Schmelze und Feststoff. Der Übergang aus dem flüssigen in den Glaszustand ist reversibel.
In diesem relativ kurzem, und von Glasart zu Glasart unterschiedlich ablaufenden Zeitraum der Transformation des Glases vom flüssigen zum festen Aggregatzustand beginnt Daniela Melzigs Kunst. Als ausgebildete Chemisch-Technische Assistentin beherrscht sie das Material virtuos und entwickelt ihre künstlerischen Aussagen ganz im Einklang zu dem „festgewordenen Flüssigen“.
Auf faszinierende Weise gelingt es ihr, die Erkenntnis der alten Philosophen, dass alles fließt und die einzige Konstante doch die stetige Veränderung ist, darstellbar zu machen. So setzt sie die Unschärfe gealterter Fotografien ein, um uns bewusst zu machen, dass auch das fotografische Ansinnen, etwas „auf Ewig“ festhalten zu wollen, - realistisch betrachtet - zum Scheitern verurteilt ist.
Unschärfe und endgültig Verblichenes lassen uns bisweilen melancholisch werden, schaffen jedoch auch Raum für unser individuelles „Kopfkino“, dass von eigenen Erfahrungen und Erinnerungen ausgeht, die Bilder deutet und uns – zunächst meist unbewusst - eigene Persönlichkeitsgeschichte und die unserer Umgebung reflektieren lässt.
Die freudige Erinnerung an vergangene glückliche Ereignisse, die Sehnsucht nach unerreichbaren, fernen Orten und hiesige Landschaften, Blumen und Porträts fixiert Daniela Melzig in Glas, oftmals ohne Rahmen und verstärkt somit die Entgrenzung unserer Traumwelten.
Manche Szenerien fängt sie jedoch in den Scheiben ausrangierter alter Fensterrahmen aus Holz und in rostigen Stallfenstern ein.
Sie offerieren uns weitere Deutungsmöglichkeiten: So oder so ähnliche Bilder waren vielleicht einmal durch diese besonderen Rahmen zu sehen.
Das Haus und der Stall, deren Bestandteil sie waren, stehen längst nicht mehr...
Und doch ist der romantische Blick zurück nie ohne Hoffnung auf Zukünftiges.
Kerstin Borchardt, Kuratorin
KUNST HEUTE Ausstellung Angela Preusz – Daniela Melzig Herbst 2021
Liebe Angela Preusz, liebe Daniela Melzig, liebe Anwesende!
Zum 14. Mal lädt der Künstlerbund Mecklenburg-Vorpommern e.V. und seine Partner zu Kunst Heute ein. An 183 Kunstorten soll zeitgenössische Kunst erlebbar werden. Im günstigen Fall kann und will Kunst eine Tür, manchmal gar ein Portal, weit aufstoßen zu einer anderen Welt, zu anderen Fragen, anderen Wichtigkeiten, anderen Sichten auf das Leben hier und jetzt. Bei den 183 Möglichkeiten habt Ihr Beiden, als Schwestern im Geiste, auch Brüel gewählt, genauer: das „Kulturknastfenster“.
Der Name dieses rückseitigen Anbaus an das Brüeler Rathaus erzählt seine Geschichte. Gebaut als Gefängnis, als Knast für die kleinen Diebe und Bösewichte. Prominenten Gastauftritt hatte hier der Gutsbesitzer von Kaarz im Anbruch der neuen Zeit nach dem Weltkrieg Zwo. Bewegte Neuzeitler nahmen ihn fest. Mit dem Schild „ Ich bin ein Ausbeuter“ vor der Brust wurde Julius Hüniken durch Brüel geführt und hier fest einquartiert. Abends kamen seine Ausgebeuteten, befreiten ihren Herrn aus dem nicht so festen Quartier und geleiteten ihn nach Blankenberg, zum Zug nach Hamburg. Später war in diesen Räumen die Stadtbibliothek untergebracht, brachte durch engagierte Arbeit Kultur in die leicht unterbelichtete Kulturlandschaft. Hier wurde gelesen, vorgelesen, gespielt, wurden Lesende herangebildet. Noch später, als die Gegenwart sich durchgekämpft hatte, zog hier die Kultur tönend ein. Mit Theo und bei Theo trifft sich seitdem die große Welt des Freejazz, kommen die Hörer von Fern und auch die aus der Nähe, die das Neue, das Unkonventionelle als Bereicherung empfinden.
Ihr Beiden, Angela und Daniela, habt aus meiner Sicht eine gute Wahl getroffen. Als quasi Lokal- und Theo-Fan danke dafür.
Ich mag Euch nicht einzeln Vorstellen. Mit Dir, Angela, verbindet mich, über jene unvergessene, engagierte Bibliothekarin, eine lange und herzliche Freundschaft. Für Dich ist Brüel ein Heimspiel, hier hast Du schon ausgestellt, mit Kindern Kunstprojekte erarbeitet.
Um Daniela Melzig vorzustellen reicht die Zeit, die eine Laudatio gestattet, kaum. Man sollte sich auf sie einlassen, ihr zuhören. Kürzlich hatte ich ein langes und keinesfalls zu langes, Gespräch. Es war ein Gewinn und geistig anregend.
Ihr habt viele Gemeinsamkeiten. Beide seid ihr Künstlerinnen, aus sich heraus, die Kunst nicht vordergründig zum Verkauf produzieren, wenngleich ein Verkauf ab und zu das Dasein jenseits von Harz 4 ermöglicht und gut für das Überleben ist. Beide seid Ihr angekommene Zugezogene, habt Euch aus den schrillen Hamburger und belgischen Großstadtwelten ins Beschauliche zurückgezogen, Angela in Jülchendorf, Daniela noch abgelegener in Augzin, wo ganz viel Himmel ist. Beide habt ihr Euch Antennen für die gesellschaftlichen Signale erhalten, ohne die Hektik des Informationschwalles, die das eigene Denken wie Schlingpflanzen erwürgt. Beide seid ihr unermüdlich dabei den Kunstbetrieb, weniger kommerziell, mehr mit Ideen, zu organisieren und zu beleben. Beide habt ihr Gärten, Eure Oasen, in denen neben Gras und Blumen, unter schattigen Bäumen, Gedanken wachsen, die Ausgangspunkte der künstlerischen Arbeit werden. Für Beide ist Kunst Arbeit und Arbeit Kunst.
Robert Luois Stevenson, den wir mit der „Schatzinsel“ verbinden, hat einmal gesagt, dass in der Literatur das Schreiben nicht schwierig sei, nur das zu schreiben was man meint sei es. Das gilt für die Kunst allgemein, denke ich, auch für das Bildliche.
Angela Preusz setzt sich intensiv mit der Natur, ihrer Kraft und unserem Umgang mit ihr auseinander. Traditionell über Linienführung und das Spiel der Farben miteinander und mit ihren Nuancen, oder über die schier unendlichen Möglichkeiten der Elektronik. Kopflastig manchmal, aber wenn man mit ihr darüber spricht, ihr zuhört, dann entstehen Botschaften, die bleiben. Heute, hier und jetzt, haben Sie, liebe Gäste, die Möglichkeit dazu, nutzen Sie es, suchen sie das Gespräch!
Daniela Melzigs Kunst ist so vielschichtig wie ihre Hinterglas-Malerei, die sie hier ausstellt. Das durchscheinende Licht und das Glas geben den realen Motiven und den Schicht um Schicht handgedruckt aufgetragenen Farben eine zusätzliche Dimension. Eine nahe Ferne entsteht. Daniela Melzig liebt die Wirkung von Transparenz und Schatten. Aus eigentlichen Widersprüchen bildet sie, mit technischer Raffinesse, die Teil ihrer Kunst ist, Spannungsbögen, erfindet Aktionskunst. Da wandert ihr tanzender Schatten durch ihre Glasbilder, durchschreitet sie als personifizierter Frieden Schlachtenbilder, schafft eine eigene Welt außerhalb des Realen. Ihre interessanten Videos sind auf You tube (oder so) zu finden. Unmittelbarer ist ihr Feuerwerk an Ideen und Gedanken bei Events im Augziner Garten oder in der dortigen Wohnwerkstatt zu erleben. Auf deren Ankündigung sollte man achten.
Bewusst will und kann ich keine direkte Wertung zu dem hier Ausgestellten treffen. Vielleicht nur so viel. Die Eingangs genannte Tür durch die Kunst haben Angela Preusz und Daniela Melzig für Sie, liebe Gäste, weit geöffnet. Treten Sie hindurch und lassen Sie sich anregen. Die Ausstellung ist eröffnet.
(Christoph von Fircks zum 03.10.2021)